Der Swing der Maschine

Wie eine glitzernde, in Aluminium und Glas gehüllte Maschine steht der Bau in der Landschaft. Keine lauten Töne, dafür Gestalt, Gesicht und ein Dialog mit der Außenwelt. Ein Industriebau in Lustenau.

In der Geschichte der modernen Architektur spielt der Industriebau eine besondere Rolle. Einerseits verdankt die Moderne der "Ingenieurarchitektur" des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wesentliche Anregungen, andererseits fand sie im Industriebau ein von Konventionen unbelastetes Experimentierfeld für ihre gestalterischen Prinzipien. Das "kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Körper", als das Le Corbusier Architektur definiert hat, konnte sich im Industriebau ebenso entfalten wie die harmonische Einheit von Form, Funktion und Konstruktion - für die Moderne ein klassisches, vom Historismus nur verschüttetes Ideal.

Das nun in der zweiten Baustufe fertig gestellte Produktions- und Verwaltungsgebäude der Walter Bösch KG in Lustenau, Vorarlberg, scheint diese Tradition fortzuführen. Von der plastischen Wirkung der Baukörper über die Gliederung der Fassade bis zu den Materialien drückt das Gebäude zurückhaltende Eleganz aus. Es gibt keine lauten Töne, selbst der Haupteingang zum Verwaltungsgebäude verschwindet in der Glasflucht des Erdgeschoßes, nur durch ein schmales Vordach markiert. Wie eine glitzernde, in Aluminium und Glas gehüllte Maschine steht der Bau in der Landschaft.

Für die Architekten Erich Steinmayr und Richard Dünser ging es aber um mehr als das elegante Erscheinungsbild. Das Projekt lässt sich auch als Versuch lesen, Kräfte zu zähmen, die nicht nur in Vorarlberg die Kulturlandschaft radikal transformieren. Das Industriegebiet, in dem sich die Walter Bösch KG Ende der 1980er-Jahre als eines der ersten Unternehmen angesiedelt hat, liegt am östlichen Ortsrand der Gemeinde Lustenau. Hier befand sich ein weit gehend intakter Landschaftsraum mit alten Obst- und Laubbäumen, der den Übergang vom Ortszentrum zum Lustenauer Ried, einem der letzten Feuchtgebiete, bildete. Will man in dieser sensiblen Zone die Zusammenhänge zwischen Ort und Landschaft zumindest teilweise erhalten, darf die Industriezone nicht zu einem undurchdringlichen Niemandsland werden. Was dort gebaut wird, muss Gestalt und Gesicht haben, und es muss ausreichend dimensionierte Korridore zur öffentlichen Nutzung übrig lassen. Erich Steinmayr hat sich dieser Aufgabe gestellt, die Nutzfläche kompakt organisiert und den Fassaden eine Physiognomie gegeben. "Ich wollte nach Möglichkeit alle Fassaden als Gesichter sehen, sodass ein Dialog zwischen innen und außen, wenn immer möglich, entsteht", schreibt er in seinen Entwurfsgedanken über den "Wandel vom Landschaftsraum zum Industriegebiet".

Im jetzt fertig gestellten zweiten Bauabschnitt bildet der Verwaltungstrakt die Randbebauung zum Ried und erlaubt den Mitarbeitern einen ungehinderten Blick in den angrenzenden Naturraum. Die knapp 90 Meter langen und 18 Meter tiefen Großraumbüros sind durch und durch rationalistisch: weiße Wände und Säulen, grauer Teppichboden, eine Decke aus Metallpaneelen und graues Mobiliar. Nur der Blick in die Landschaft relativiert diesen calvinistisch-nüchternen Eindruck. Steinmayr verwendet hier vertikale Aluminiumpaneele, die er als "Bretter" bezeichnet, zur Gliederung der Fassade und zur Vermeidung von Erwärmung und Blendung im Inneren. Die nach Osten orientierte, raumhohe Glaswand ist dadurch gut vor der Sonne geschützt, sodass die Mitarbeiter auf zusätzliche, den Ausblick störende Beschattungen verzichten können. An der südlichen Schmalseite des Verwaltungstraktes, wo die Sonne in steilerem Winkel einfällt, erfolgt die Beschattung dagegen mit horizontalen Gitterrosten.

Steinmayr hat mit ähnlichen Elementen schon bei früheren Projekten gearbeitet, etwa zusammen mit Friedrich Mascher beim Studien- und Forschungsgebäude für die Wiener Albertina und mit Richard Dünser bei der Erweiterung des Rathauses von Lustenau. Auch dort verband er kühle technische Perfektion mit subtilen Proportionen und feinen Materialabstufungen.

Der Unterschied liegt in der Dimension. Bei einem Industriebau dieser Größe - die Außenmaße der Gesamtanlage betragen rund 100 mal 140 Meter - ist die Harmonie zwischen Form, Funktion und Konstruktion nicht mehr in derselben Weise aufrecht zu erhalten wie bei den beiden anderen Projekten. Die eigentliche Struktur des Gebäudes für die Walter Bösch AG ist für den Betrachter überhaupt nicht mehr nachvollziehbar: Den Kern der Anlage bildet ein Hochregallager, das allseitig von Produktionshallen umschlossen wird. Die Verwaltungsbauten als äußerste Schicht bilden zwar das Gesicht nach außen, machen aber nur einen vergleichsweise kleinen Teil der Gesamtkubatur aus. Dass es Steinmayr gelungen ist, angesichts einer Nutzfläche von 22.750 Quadratmetern den Eindruck von Kohärenz über mehrere Baustufen zu erhalten, ist eine besondere Qualität des Projekts.

Die architektonische Leistung geht dabei weit über das Ästhetische hinaus. Sie umfasst Logistik, Technik und nicht zuletzt die Einhaltung des Budgets unter den üblichen Bedingungen des Industriebaus. Auffällig sind nur die Unterschiede in den Konstruktionssystemen zwischen erster und zweiter Baustufe. Hatte Steinmayr in der ersten Baustufe noch einen Stahlbau geplant und dabei vor allem in den weit gespannten Produktionshallen mit ihren eleganten Oberlichten Qualität erzielt, so handelt es sich bei der zweiten Baustufe - vor allem aus Brandschutzgründen - um einen Stahlbetonbau. Geänderte Bauordnungsbestimmungen lassen heute nur noch diese Lösung wirtschaftlich erscheinen.

Auf Wunsch des Bauherrn finden sich in der zweiten Ausbaustufe im Erdgeschoß, einem aktuellen Trend folgend, Wände mit Lehmoberfläche. Dieses Material gibt dem Eingangsbereich und dem Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum einen erdigen Charakter - ein effektvoller Kontrast zur kühlen Rationalität des sonstigen Gebäudes. Die eigentliche Überwindung des rein Rationalen findet jedoch auf einer subtileren Ebene statt, wenn die kühle Maschinenästhetik durch Lichtführung, Proportion und feine Abstufungen von Material und Oberflächen zum Schwingen gebracht wird. Erst dadurch wird dieser Industriebau zur Baukunst. Er unterscheidet sich deutlich von vielen schön in Glas und Aluminium verpackten Industriebauten, die nur verkleiden, sich der Zerreißprobe zwischen künstlerischer Freiheit und ökonomischen Sachzwängen aber nicht auszusetzen wagen.

(Text: Christian Kühn, Spectrum, 02.04.2005)

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